Tom Junkersdorf

Chefredakteur // Eine Legende in der Medienlandschaft von Zilli Dzaferi

Foto: Melanie Schneider

Zilli Dzaferi: Wie bist du in die Medienwelt gekommen?

Tom Junkersdorf: Ich bin relativ früh in den Job gekommen. Weil ich früher Fußball gespielt hatte und sehr gut in Deutsch war, meinten alle Fußball-Kameraden, ich sollte die Berichterstattung für die Spiele machen. Dadurch bekam ich die Anfrage, ob ich ein Praktikum bei der Lokalzeitung machen möchte und so bin ich dazugekommen und habe den Job vom ersten Moment an geliebt. 

Ich habe das Zeitungsmachen geliebt, ich habe die Tageszeitung geliebt, ich habe es genossen jeden Tag die News zu lesen und zu veröffentlichen, das war mein Ding. Jeden Tag nach der Schule bin ich in die Redaktion gefahren, um dort zu arbeiten. Ich habe fast mein Abitur verpasst deswegen.

Mit 18 habe ich schon mein eigenes Fußball-Magazin gegründet und das gibt es bis heute noch.  Das Magazin habe ich damals für die für mich unvorstellbare Summe von 5.000 DM an meinen Verlag, die Tageszeitung, verkauft und die gibt das Magazin immer noch heraus. Ich war schließlich noch im Abitur, ich habe es gerade noch so zu Ende gebracht, weil die Frage für mich war: Lernen oder redaktionelle Deadline. Da war ich oft so richtig hin- und hergerissen.

Ich habe dann angefangen in Hannover an der Leibniz-Universität zu studieren.  Dort hatte ich das Gefühl, dass alle Prozesse zu lange dauern,  denn durch den Journalismus war ich Tempo gewohnt.  Studium war also nicht meine Sache. 

Ich habe das Zeitungsmachen so sehr vermisst, dass ich mit dem Verlag einen Deal gemacht habe, dort ein Volontariat zu durchlaufen, sogar verkürzt, weil ich schon ein eignes Magazin entwickelt hatte. Anschließend habe ich eine klassische redaktionelle Ausbildung gemacht.  

Zilli Dzaferi: Was treibt dich an?

Tom Junkersdorf: Mich treibt das Neue an. Nach meiner Ausbildung war ich mit 25 bereits Ressortleiter Sport, habe jedoch auch schnell erkannt,  dass ich die nächsten 50 Jahre nicht immer erklären möchte, warum jemand das Tor aus sechzehn Metern trifft oder eben nicht.  Mich haben immer Projekte interessiert, die ich nicht konnte, aber kennenlernen wollte. Das, was ich nicht kann, will ich einfach können. Ich wollte immer verstehen, wie etwas funktioniert und habe daran großen Spaß gehabt, sodass ich mir vorgenommen in meiner Karriere einen Job nicht länger als zwei bis drei Jahre zu machen.

Das habe ich bis heute durchgehalten. Ich möchte immer wieder neu anfangen, nicht  den Erfolg nur verwalten, sondern neue Dinge kreieren, neue Teams bilden oder Projekte, die vielleicht Probleme haben, übernehmen und voranbringen. 

An einer Stelle stehen und täglich das Gleiche zu machen, würde mich langweilen.

Zilli Dzaferi: Was war dein letztes Projekt, das du aufgezogen hast?

Tom Junkersdorf: Mein letztes Projekt war GQ, die hatten mich als Chefredakteur geholt, weil sie sich etwas verloren hatten auf der Suche nach der eigenen Identität. Es ist ein häufiges Problem bei Medienobjekten, dass sie verwässern, sich selbst nicht treu bleiben. Meine Mission war es, ein hochwertiges Magazin mit einer High-End-Positionierung zu gestalten.

Zilli Dzaferi: Du und die Stars der großen Bühnen, du kennst scheinbar jeden. Wie ist das, wie sind sie zu dir und vor allem: wie sind sie drauf?

Tom Junkersdorf: Was mich immer angetrieben hat, war die Neugier, ich wollte die Menschen – egal wie prominent sie waren – gerne kennenlernen. Ich wollte ihren Kern und ihre Mission verstehen, ich wollte verstehen, was sie antreibt, was sie machen.

Dabei habe ich gemerkt, dass, wenn man sich wirklich für Menschen interessiert, für das was sie tun, für ihre Handwerkskunst, für ihre Passion, oder einfach für ihre Aufgabe, die sie haben, dann haben tauschen sie sich gern aus und teilen sich mit.

Daher war es für mich relativ leicht mit vielen Menschen in Kontakt zu kommen. Das Wichtigste dabei ist, immer fair zu sein und Vertrauen zu schaffen, also eine Trusted Brand zu sein.

Trusted Brand zu sein als Medienschaffender bedeutet, dass Stars/Persönlichkeiten wissen, dass man sie nicht vorführt oder benutzt, weil man sich immer zweimal sieht im Leben.  Das ist eine Regel, die darf man nicht vergessen und keine Schlagzeile kann so gut sein, dass man dafür ein Kontakt verbrennt, das ist extrem wichtig. Es muss fair ablaufen.

Es ist immer wieder die Neugier.  Es reicht nicht zu sagen: Okay ich war jetzt auf allen Promipartys in München, ich kenne jetzt alle Promis und das war es jetzt. Ich bin nach New York gezogen, habe dann dort gearbeitet und dort die Stars kennengelernt und habe immer wieder die Augen offengehalten, wen kenne ich noch nicht und wen will ich kennenlernen.

Was ist der Unterschied zwischen den USA und Deutschland?

Tom Junkersdorf: Zunächst einmal interessieren sie sich gar nicht für Deutschland, sie interessieren sich überhaupt nicht für Europa, was bedeutet, dass du sehr schnell lernst, dass die Marke bzw. die Zeitung, für die du arbeitest, keine Bedeutung hat.

Ich war Leiter des New Yorker Büros der Bild-Zeitung  und war vorher Unterhaltungschef bei der Bild. Wir waren es gewohnt, dass wir zum Beispiel den Regierungssprecher auf dem Handy anrufen konnten, wenn wir ein Statement der Kanzlerin zu einem Thema benötigten. Innerhalb weniger Minuten kam dann auch der Rückruf mit der entsprechenden Aussage.  

Als ich in New York war, hatte Springer ein sehr sehr schönes, repräsentatives Büro an der Fifth Avenue, aber Politik wird immer noch in Washington gemacht.  Wann immer das Interesse bestand ein Interview mit dem US-Präsidenten zu machen, oder wenigstens mit der Außenministerin, war es unfassbar schwer den Kollegen in Deutschland zu vermitteln, warum wir kein Interview bekamen. 

Natürlich hatte ich angerufen und gesagt, hier ist Tom Junkersdorf von der Bild-Zeitung. Als Antwort bekam ich dann, ich solle ein Fax schicken, aber darauf hat sich dann nie jemand gemeldet.

Auf Nachfrage, ob sie denn unser Fax erhalten hätten, hieß es, wir machen momentan keine Europapolitik. Dann gab es immer ein ewiges Hin und Her, Innenpolitik oder Außenpolitik, wenn ja, welcher Kontinent, welches Land und so weiter. Anschließend musste ich noch tausendmal erklären, für welches Medium ich arbeite.

Da merkst du, dass eine Marke, die in Deutschland so unfassbar stark ist, dort keinerlei Bedeutung hat.  Das zeigt, worauf es letztendlich ankommt, nämlich Persönlichkeit und dass du dich nicht hinter einer Visitenkarte verstecken kannst.

Zilli Dzaferi: Warum bist du nach Amerika gegangen?

Tom Junkersdorf: Das ist relativ einfach. Ich war mal Society-Chef bei Gala, da haben wir ein neues Magazin gegründet, das hieß Life -in-Style. Es sollte ein Gegengewicht zu dem Magazin  InStyle werden, welches 1999 auf den Markt gekommen war. Allerdings hatten wir kaum Budget, also was tun? Meine Idee war damals, weil ich Gerhard Schröder kannte,  ein Interview und ein Fotoshooting mit ihm und Peter Lindberg zu machen, da Schröder damals 100 Tage im Amt war.  Das war das Shooting, welches dann den Kanzler Schröder zum Brioni-Kanzler gemacht hat.  Das Shooting kam zu einem Zeitpunkt, als es in Deutschland 4,5 Millionen Arbeitslose gab und Gerhard Schröder hat das getragen, was er immer getragen hat, nämlich Brioni und Kiton.

Das hat Wellen geschlagen und das Magazin war in aller Munde. Durch eine kreative Lösung  waren wir in allen Medien. 

Danach bin ich zur Bild-Zeitung gewechselt und wurde dort Unterhaltungschef. Ich habe sehr gerne und sehr gut mit Kai Diekmann zusammengearbeitet. Springer hatte vor, den Erfolg der Bild-Zeitung in Polen zu wiederholen mit einer täglichen Boulevard-Zeitung, die Fakt heißen sollte.

Ein paar Wochen vor dem Start hatte der Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner Bedenken, ob das Ganze erfolgreich sein könnte und Kai Diekmann gebeten ein Team zusammenzustellen und mit den Leuten nach Warschau zu fliegen und dort den Launch zu machen.

An diesem Tag hatte ich Dienst und als er fragte, wer Lust habe am Sonntag mit nach Warschau zu komme, sagte ich spontan zu. Das war mein erster Auslandseinsatz. In Warschau haben wir alles aufgebaut und haben das Ganze für den polnischen Markt übersetzt und gestaltet. Wir sind sehr erfolgreich gestartet und haben für uns unfassbare Erfahrung gemacht.

Springer hatte mehrere Auslandsdienste eingerichtet, so gab es auch Niederlassungen in New York und London.  Als in New York der Posten frei wurde, habe ich Kai Diekmann gebeten, mich nach New York zu schicken.  Mein Ziel Chefredakteur zu werden, konnte ich nur mit Auslandserfahrung erreichen und ich muss sagen, dieser Schritt hat mein Leben massiv verändert.

In New York war das erste was ich machen durfte, den Wahlkampf zwischen George W. Bush und John Kerry zu beobachten. Es war sehr spannend zu erfahren, wie der amerikanische Wahlkampf funktioniert.

Ich bin mit Bill Clinton unterwegs gewesen und konnte hinter den Kulissen schauen. Nach einem Jahr bin ich zurück, weil ich das Angebot bekommen habe, Chefredakteur der Bravo zu werden und das wollte ich mir nicht entgehen lassen.  Die Bravo wurde 50 Jahre alt, als ich sie übernahm.

New York zu verlassen war für mich persönlich eine schwierige Entscheidung. Zurück in Deutschland habe ich mit und neben der Bravo viele internationale Projekte umgesetzt.

Projekte, wie zum Beispiel gegen Gewalt an Schulen, weil mir in den Staaten aufgefallen war, dass es dort ein großes Thema ist und in Deutschland war es nicht anders. Wir haben vor dem Brandenburger Tor mit 50 Künstlern on Stage und 120.000 Zuschauern dem Kampf gegen Gewalt angesagt und haben das überall an den Schulen bekannt gemacht.

Später habe ich für das Magazin InTouch gearbeitet und auch das People-Magazin nach Deutschland gebracht, bevor ich zu GQ gewechselt bin.

Zilli Dzaferi: Wie war die Zeit bei GQ?

Tom Junkersdorf: Es war die beste Zeit meiner Karriere! Diese Marke hat eine weltweite Strahlkraft mit eine High-End Positionierung und es war möglich jeden Star, jeden Designer oder Schauspieler zu begeistern etwas gemeinsam zu machen. 

Ich war das erste Mal in Monaco bei einem Formel-1-Rennen und nach dem Rennen hatte ich noch etwas Zeit, weil mein Flieger später ging. Ich ging in eine Bar und habe mir einen Drink bestellt. Neben mir stand jemand und wir kamen ins Gespräch über das Rennen. Später fragte er mich, was ich beruflich mache und als ich sagte, dass ich Chefredakteur von GQ sei, holte er seine Frau hinzu, um uns einander vorzustellen. Das war Matt Damon. Er erzählte, dass er das Magazin liebe und dass er mal wieder Lust hätte ein Fotoshooting zu machen. Nichts von dem, was wir besprachen ist je nach außen gedrungen, weil auch Matt wusste, dass er etwas im Vertrauen erzählen kann. Das liegt auch an der Kraft der Marke, das ist höchstes Niveau.

Auf diese Art habe ich unfassbar viele Menschen kennengelernt. Sicher kannte ich schon viele Show-Stars, Schauspieler und Politiker, doch nun kamen noch Designer, Uhrmacher oder CEOs von kreativen Unternehmen hinzu, zu denen man nicht so leicht Zugang bekommt. Achtzig Prozent meiner Zeit bei GQ habe ich mit Reisen verbracht, doch es war jede Minute wert.

Zilli Dzaferi: Was würdest du Unternehmen Empfehlen?

Tom Junkersdorf: Ich würde Ihnen empfehlen, dass sie sich mit den Inhalten ihrer Arbeit noch intensiver auseinandersetzen müssen und lernen müssen sie zu kommunizieren. Wichtig ist das Storytelling, es reicht nicht mehr, zum Beispiel eine Uhr vor eine Kamera zu halten und zu sagen: „das ist unsere neue Uhr, die gibt es jetzt zu kaufen“. Damit überzeugst du niemanden mehr. Warum sollte der Kunde die neue Uhr kaufen, was ist das Besondere an ihr? Wofür braucht er gerade diese Uhr? Das sind die entscheidenden Fragen, die sich die Verantwortlichen stellen müssen. Es reicht auch nicht nur die entsprechenden Media-Kanäle zu haben, sie müssen sinnvoll und vor allem glaubhaft mit Inhalt gefüllt werden, egal ob Print oder online. Auch gibt es heute immer mehr Stolpersteine wie Diversity, Inclusion, Sustainability, BLM, Fridays4Future, Corona…du musst also jede Art von Kommunikation durch den Filter schicken und schauen, was du schreibst.

Zilli Dzaferi: Wie bist du zu Off-Script gekommen?

Tom Junkersdorf: Ich wollte schon vor vielen Jahren eine eigene Agentur gründen, ich hatte aber so viele spannende Projekte, die mich davon abgehalten haben.

Der Punkt das ein CEO eine Marken-Herstellers auf Social-Media-Kanälen schon viel mehr Reichweite haben kann als die klassischen Medien, haben mich dazu bewegt das zu tun, um ihnen dabei zu helfen diesen Punkt zu steuern und zu orchestrieren.

Mit meiner Erfahrung bei GQ und anderen Magazinen möchte ich den Marken helfen, ihre Kommunikation moderner zu gestalten und diese Stolpersteine, von denen ich eben sprach, zu umgehen. Wir betreuen auch sog. High-Profile-Individuals, also zum Beispiel Fußball-Nationalspieler, die viele Millionen Follower haben und die sehr genau aufpassen müssen, was sie wie verbreiten und was sie vermarkten können.

Das Ganze habe ich mit Marco Rechenberg ergründet, der auch zehn Jahre bei GQ war. Wir haben eine gemeinsame Idee, was wir machen möchten und welchen Kunden wir helfen können. Zusammen haben wir ein gutes Know-How und den entsprechenden Background, um die besten Lösungen zu schneidern. Wir verstehen uns auch als Co-Creator, das heißt dass wir auch mit anderen Partneragenturen zusammenarbeiten. In der Zukunft wird es so sein, dass es nicht mehr nur eine Agentur oder eine Lösung geben wird.

Ich habe auch das Projekt Tomorrow, das ist ein Podcast für Business und Lifestyle, ins Leben gerufen, um mich mit den Machern dieser Welt zu verbinden und deren Botschaft zu verbreiten. Das ist eine Herzensangelegenheit, in der ich mich von Chefdesignern wie Gordon Wagner von Mercedes-Benz oder Phillip Plein, aber auch Ingo Wilts von Hugo Boss treffe und wir deren USP rauskitzeln. Es ist sehr inspirierend, wie solche Macher unsere Gesellschaft in Bezug auf Design prägen und verändern. Am Ende des Tages brauchst du immer eine starke Persönlichkeit, die die Story erzählt und verständlich macht. CEOs, die keine Persönlichkeiten sind, die es nicht schaffen sich selbst zu verkaufen, müssen sehen, dass sie jemanden in ihrem Unternehmen finden, der das kann. Die alte Kommunikation funktioniert nicht mehr, die Welt hat sich verändert. Das hinterlässt Spuren und wir müssen umdenken.

Zilli Dzaferi: Wo siehst du dich in fünf Jahren?

Tom Junkersdorf: Ich würde erst mal gar keine Ziele setzen, sondern einfach sagen, es ist immer weniger vorhersehbar, was als nächstes passiert. Wichtig ist es neugierig zu bleiben, weiter zu lernen, zu adaptieren und neue Ideen umzusetzen. Man muss Dinge entstehen lassen und eins ist sicher: Kommunikation wird nie sterben!